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Der Rückblick


Meine Unzufriedenheit fand ihren Anfang in der Schulzeit. Ich musste mich meistens zwingen in die Schule zu gehen. Dementsprechend wurde ich so oft krank, wie ich nur konnte. Das Schulsystem passte nicht für mich. Ich konnte nicht frei arbeiten, musste Hausaufgaben erfüllen, deren Inhalt mir sinnlos vorkam. Ich hatte Angst vor Prüfungen, was in den Noten ersichtlich war. Ich kann nicht sagen, dass ich die Inhalte nicht verstanden hätte oder sie mir nicht merken konnte, aber ich wollte nicht, weil sie mich nicht interessierten. Ich wollte lernen was mich begeistert, nicht, was dem Lehrplan entspricht. Ich wollte Antworten auf Fragen. All das bekam ich nicht. Anstelle dessen wurde ich zurechtgewiesen still zu sitzen, nichts zu fragen, was nicht mit dem Fach zu tun hätte, die Hausaufgaben zu bringen und in der Pause nicht wild herum zu rennen.

Ich habe es irgendwie geschafft mich durch zu boxen. Ich denke, geopfert habe ich dafür meine Mandeln. Eigentlich hatte ich die ganz gern, da sie sich alle paar Wochen entzündeten und ich zuhause bleiben konnte. Mit 15 beendete ich die Schule und startete eine Ausbildung zum Friseur und Perückenmacher. Auch da, speziell im ersten Jahr, hatte ich viel zu kämpfen. Die Personen mit einer leitenden Position ließen uns Lehrlinge diese Macht in einer unguten und respektlosen Art spüren. Täglich weinte in dieser Arbeitsstelle mindestens ein Lehrling. Das Betriebsklima war erschütternd. Ich wurde oft in den Keller geschickt, um bei der Baustelle mitzuarbeiten. Musste Wände mit dem Vorschlaghammer einreißen, Türschnallen montieren, Metallregale schweißen, schleifen und lackieren, Shampooflaschen abfüllen und zur Krönung das Auto des Chefs putzen.

Haare schneiden habe ich dennoch gelernt. Und zwar in meiner Freizeit. Entweder, weil der Chef die Trainingsabende, wider dem Gesetz, in unserer Freizeit veranschlagte, oder weil ich meine Schere immer dabei hatte und auf Partys damit zum Einsatz kam. Ich wechselte jedes Jahr die Lehrstelle, bis ich nach 2,5 Jahren eine Sondererlaubnis bekam, das letzte Semester nur in der Berufsschule, ohne Lehrstelle, zu beenden. Mit 15 Jahren, gleichzeitig mit dem Beginn meiner Berufstätigkeit, tauchten auch die ersten Süchte auf. Suchtmittel waren eine immer gern gesehene Erleichterung nach der Arbeit, nach der ich mich ausgesaugt und sinnlos fühlte. So konnte ich mir zumindest für den Abend ein Gefühl von Erfüllung ermöglichen. So siechte ich dahin bis ich ca. 23 war. Arbeitend als Friseur, unzufrieden, weil ich mich in der damaligen Arbeitsstelle nicht entfalten konnte. Meine Ideen wurden nicht angenommen. Zuerst nicht. Dann später bemerkte ich, dass es nun offizielle Ideen des Chefs waren. Zudem wurde von mir verlangt, meinen Kundinnen Strähnen und Farben einzureden, mit der Argumentation die Haare würden dann kaputt werden, wogegen ich dann eine Pflege verkaufen kann, und die Kundin wäre nach zwei Monaten unzufrieden mit dem Nachwuchs und würde daher wieder kommen um nach zu färben. Ich sollte also meine Kundinnen bewusst in eine Abhängigkeit führen und ihre Haare schädigen, damit ich mehr Umsatz generiere. Ab da wusste ich, dass ich weg musste und so nicht arbeiten will. Mein Alltag bis dahin war arbeiten, nach Hause gehen, Fernseher aufdrehen, ein Bier trinken und die mitgebrachte Pizzaschnitte verspeisen. Meine Mandeln hatte ich ja nicht mehr, also bekam ich schwere Gastritis. Die Medikamente der Schulmedizin halfen mir nur, solange ich sie einnahm. Anja Grossmann half mir damals mit einer TCM Ernährungsberatung. Nach der Umstellung meiner Essensgewohnheiten heilte die Gastritis innerhalb von ein paar Tagen ab. Aber die Unzufriedenheit und die Sucht blieben bestehen. Gleichzeitig mit der Veränderung meiner Ernährung, wollte ich eine Veränderung in meine Berufswelt und meine Freizeit bringen. Ich kündigte also und überlegte, was ich anstelle des Friseurberufs machen konnte. Ich ging mehrere Jahre in Psychotherapie bei Marie-Luise Schneeweis in Döbling, der ich für ihre Arbeit und Begleitung über viele Jahre sehr dankbar bin, und startete das Studium Musik- und Bewegungspädagogik. Während des Studiums ging es mir ganz gut. Ich hatte gewisse Aspekte der Sucht unter Kontrolle. Dachte ich zumindest. Rückblickend habe ich erkannt, dass sich die Sucht nur verlagert hatte. Ich fand einen tolle geringfügige Anstellung bei George Hrant Garabetian, der bis heute eine Filiale von Haarmonie Naturfriseur leitet. Er scheute nicht, den Kunden und Kundinnen Tipps zu geben, die nachhaltig waren, obwohl dadurch der Umsatz geschmälert wurde. George hat mich als Chef immer fair und respektvoll behandelt. Ich bin froh, dass er über die Jahre noch immer zu meinen Freunden zählt.

Aber die Unzufriedenheit nagte weiter an mir. "Da gibt es noch mehr, das kann nicht alles sein". Ich spürte einen Sog, einen sanften Arschtritt, ich musste weiter. Also kündigte ich bei Haarmonie, schloss das Studium ab und begann mit einem neuen Studium. "Alte Musik, Zink". Auf einem Instrument richtig gut werden, Menschen mit meiner Musik zu erreichen, das war mein neues Ziel. In Österreich gibt es dieses Studium nicht. Ich musste daher nach Deutschland ziehen. Von dort ging es weiter in die Schweiz, wo ich bis vor kurzem ganz zufrieden war. Aber meine Seele begann wieder an mir zu zerren. Ich fühlte mich nicht mehr wohl. Weder an der Hochschule, noch bei den Konzerten. Ich fühlte mich nicht dazu gehörig. Ich sah, dass die Leute um mich herum ganz andere Interessen hatten. Es gab kaum Überschneidungen, keine Gesprächsthemen. Ich wurde zudem unzufrieden, da ich meiner Seele und meiner Intuition in dieser Art von Musik keinen Ausdruck verleihen konnte. Zu gebunden war alles an Noten, Regeln, Traktate, Quellen und Anweisungen von Lehrenden oder Dirigenten.

Wenn ich auf diese 20 Jahre zurück blicke, kann ich nun erkennen, dass immer, wenn die Unzufriedenheit zunahm, auch die Süchte zunahmen. Die Unzufriedenheit wurde immer dann mehr, wenn ich mich nicht erfüllt in einer Tätigkeit fühlte, wenn ich das Gefühl hatte, nicht genug zu bewirken mit dem was ich machte, wenn ich keinen Sinn mehr in der Tätigkeit sah.

Das alles hat mich zu dem Punkt gebracht, wo ich jetzt gerade bin: alles hinterfragend, kurz davor Job Studium und Wohnung zu kündigen und meinem Herzen zu folgen...

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